Bereits in den 1920er-Jahren stellte der der Psychologe Sidney Pressey die erste sogennante „Lehrmaschine“ vor (Pressey, 1950). Diese Maschine diente vorrangig dazu, Lehrenden die Arbeit zu erleichtern, indem sie den Schüler*innen Multiple-Choice-Tests vorlegte und deren Antworten auswertete. Eine solche Maschine mag aus heutiger Sicht recht primitiv wirken, jedoch war sie angesichts der sich gerade erst anbahnenden Technologisierung eine beeindruckende Erfindung, die fortan zahlreiche Forschungsarbeiten anstieß und vielfach weiterentwickelt wurde (z.B. Skinner, 1958; Wood & Wood, 1999). Es stellte sich heraus, dass eine solche Maschine mehr leisten konnte, als sich Pressey ursprünglich bei ihrer Entwicklung erhofft hatte: Sie erleichterte nicht nur den Lehrenden ihre Arbeit, sondern schien über den Einsatz von Multiple-Choice-Tests hinaus in der Lage zu sein, die Schüler*innen bei Lernprozessen zu unterstützen.

Wo stehen wir heute?

Heute, im Jahre 2020, sind Technologien und moderne Medien aus keinem Lebensbereich mehr wegzudenken. Wir haben zahlreiche Ergebnisse der Digitalisierung bis hin zu künstlicher Intelligenz in unser gesellschaftliches und privates Leben integriert. Was vor einigen Jahrzehnten nur in Science-Fiction-Filmen denkbar war, wird mitunter mehr und mehr zur Normalität, man denke nur an Videokonferenzen oder Virtual-Reality-Brillen.

Solche Entwicklungen führen zu zahlreichen ethischen, wissenschaftlichen und persönlichen Diskussionen, die nicht immer zu einem Konsens führen. Besonders kontroverse Diskussionen bezüglich der Verwendung neuer Technologien betreffen den Bildungssektor: Befürworter*innen des digitalisierten Lernens sehen in computer- und technikgestütztem Lernen eine große Chance, um unser Lehr- und Lernverhalten der Realität einer digitalisierten modernen Welt anzupassen. Sie definieren digitale Kompetenz als eine der wichtigsten Fähigkeiten unserer Zeit.

Kritiker*innen hingegen halten mit Schlagzeilen wie „Digitale Demenz“ (Spitzer, 2012) und „Die Lüge der digitalen Bildung“ (Lembke & Leibner, 2018) gegen die Forderungen nach einer digitalisierten Bildungswelt und postulieren mitunter, dass die einzige Möglichkeit des nachhaltigen Lernens in „face-to-face“-Lehrsituationen bestünde (Ziener, 2018).

Stand der psychologischen Forschung bezüglich der Effektivität digitalisierter Lernformen

Wirksamkeit digitalisierten Lernens

An dieser Stelle lohnt es sich, etwas weiter auszuholen und einen kurzen Blick auf die neuropsychologischen Grundlagen des Lernens zu werfen: Es sollte zuerst einmal betont werden, dass es dem Menschen aufgrund der Anpassungsfähigkeit (Neuroplastizität) des Gehirns möglich ist, neuronale Netzwerke durch Lernerfahrungen zu verändern. Dies stellt eine Grundvoraussetzung für alle Lernprozesse dar.

Es ist daher anzunehmen, dass auch die Verwendung digitaler Medien neuronale Prozesse formen und somit einen Einfluss auf die Erinnerung und die Lernerfahrung nehmen kann. Neuropsychologische Befunde weisen darauf hin, dass z.B. bereits eine kurzzeitige Beschäftigung mit dem Internet dazu führen kann, dass sich Strukturen der Großhirnrinde veränderten: Analytische Fähigkeiten, die Geschwindigkeit der Bildverarbeitung sowie Multitasking-Fähigkeiten verbesserten sich signifikant (Small, 2009; Small et al., 2009). Baumgartner und sein Team (2015) weisen jedoch auch auf einen Zusammenhang zwischen ausgeprägtem Multitasking während des Einsatzes digitaler Medien und Konzentrationsschwierigkeiten sowie auf das Risiko des Leistungsabfalls hin. Außerdem benennen sie neben Cybermobbing insbesondere das Suchtpotential digitaler Medien (Ha et al., 2006) als große Schwierigkeit beim weitreichenden Einsatz digitaler Medien zum Lernen.

Populärwissenschaftliche Autor*innen, die dem digitalisierten Lernen kritisch gegenüberstehen, führen immer wieder das Argument an, dass solche Lernformen zu sozialer Inkompetenz, Vereinsamung und Übergewicht führen können und sich letztlich nicht einmal lernfördernde Effekte im Vergleich mit herkömmlichen Lernformen fänden  (z.B. Spitzer, 2012). Diesbezüglich lässt sich der empirisch orientierte Übersichtsartikel von Appel und Schreiner (2014) sehr empfehlen, der verschiedene „Mythen“ und Grundannahmen über die negativen Effekte des digitalisierten Lernens vor dem Hintergrund von Meta-Analysen diskutiert. An dieser Stelle kann leider nicht auf alle Ergebnisse eingegangen werden, jedoch sollen einige ausgewählte Befunde Erwähnung finden:

1996 bis 2008 wurde eine große meta-analytische Effektivitätsstudie zu digitalem Lernen durchgeführt, welche einen experimentellen Vergleich zwischen Internet-Lernbedingungen bzw. Blended-Learning-Bedingung (=kombiniertes Lernen durch digitale Medien im Internet sowie face-to-face Instruktionen) und herkömmlichem Lernen (Face-to-face) anstellte (Means et al., 2010). Die Forscher*innen kamen zu dem Ergebnis, dass Blended-Learning zu höheren Lernerfolgen als face-to-face Lernen führte, während reines internetbasiertes Lernen keine Überlegenheit gegenüber dem herkömmlichen Lernen erzielte.

Ein zweiter Punkt, der von Appel und Schreiner diskutiert wird, bezieht sich auf Computerspiele zur Unterstützung des Lernprozesses. Hier weisen sie darauf hin, dass die Studienlage dahingehend recht eindeutig ist, dass der Lernerfolg durch die Verwendung von computerbasierten Lernspielen im Gegensatz zu traditionellem Lernen erhöht werden kann (Vogel et al., 2006; Chiu et al.; 2012).

Ein wichtiges Fazit der Ausführungen von Appel und Schreiner (2014) ist, dass es besonders im Gebiet der die Bildung betreffenden öffentlichen Diskussion schnell zu einem stark an der subjektiven Meinung der Autor*innen ausgerichteten Argumentationsführung kommt. Diese Argumente werden oft durch scheinbar wissenschaftliche Studien belegt. Die angeführten Studien sind jedoch häufig selektiv ausgewählt und spiegeln nicht die Gesamtstudienlage wider. Teilweise fußen sie sogar auf pseudo-wissenschaftlichen Quellen. Es ist daher sehr wichtig, belastbare experimentelle Studien und Meta-Analysen zu beachten und eine rein subjektive Meinungsbildung zu vermeiden.

Die Digitalisierung ist eine sich rasant und exponentiell ausbreitende Entwicklung, die mit vielen Unsicherheiten und Ängsten einhergeht. Dies ist eine aus psychologischer Sicht vollkommen normale Reaktion. Dennoch kann die Wissenschaft uns einen Teil dieser Ängste nehmen, indem wir durch sie auf empirische Befunde zurückgreifen und die Thematik rationalisieren können. Darauf aufbauend erhalten wir die Chance, das volle Potential neuer Möglichkeiten, wie die des digitalisierten Lernens, auszuschöpfen. So können wir lernen an der neuen Herausforderung der Digitalisierung, sowohl gesamtgesellschaftlich als auch persönlich, zu wachsen.

Einflussfaktoren auf den Erfolg digitalisierter Lernformen

Wie oben bereits kurz angeschnitten, scheint nicht jede Form des mediengestützten und digitalen Lernens in gleichem Maße wirksam zu sein und digitale Lernformen scheinen nur unter bestimmten Voraussetzungen den traditionellen Lernmethoden überlegen zu sein. Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in Einflussfaktoren auf die Effektivität des digitalen Lernens erfolgen, welche als Stellschrauben zum sinnvollen Einsatz dieser Lernform dienen können:

  1. Allein versus gemeinsam lernen

Besonders, wenn digitales Lernen in Kooperation mit anderen Menschen stattfindet und die Möglichkeit zur Interaktion und dem sozialen Austausch bietet, ist digitalisiertes Lernen dem traditionellen Lernen überlegen. Die größten Effekte erzielen Interventionen, die aktiv durch die Interaktion mit Lehrenden unterstützt werden („Blended learning“) (Appel & Schreiner, 2014).

  • Orientierung in der digitalen Lernumgebung

Besonders webbasierte Lernumgebungen fordern eine ausgeprägte Anpassungs- und Orientierungsfähigkeit an das neue Setting (Justus, 2017). Vor allem dann, wenn die Lernenden bislang wenig Erfahrung mit einer solchen Lernform haben, sind metakognitive Regulation und analytische Fähigkeit nötig, um den Herausforderungen einer virtuellen Lernumgebung gerecht zu werden. Hinzu kommen außerdem digitale Kompetenz und Vorerfahrung mit dem jeweiligen Medium, welche die Anpassung an die Lernumgebung fördern können, aber auch die Lernmotivation und das Lernverhalten der Lernenden (Azevedo et al., 2011).

Wie leicht es ist, sich in der digitalen Lernumgebung zurechtzufinden, hängt natürlich auch von der Nutzerfreundlichkeit des Mediums ab, so zeigte sich als Anbieter für Webinare z.B. WebEx als lernförderlicher als Adobe Connect (Gegenfurtner & Ebner, 2019).

  • Lernverhalten und Persönlichkeitsvariablen der Lernenden

Forscher*innen heben hervor, dass es, wie bei jeder Lernform, individuelle Unterschiede zwischen Lernenden gibt, die den Lernerfolg beeinflussen.

Als große Einflussfaktoren werden hier in Anbetracht der hohen Relevanz von Eigenverantwortung beim digitalen Lernen insbesondere die Fähigkeit zur Selbstregulation (Justus, 2017), Selbstmotivation (Reeves & Osho, 2010), Selbstwirksamkeit (Wang & Newlin, 2002) und Selbstdisziplin (Cercone, 2008) genannt. Bzgl. der Lernstile Studierender fanden sich hingegen vorerst keine signifikanten Effekte auf den erfolgreichen Einsatz von digitalisierten Lernmethoden (Zacharis, 2011).

Auf technischer Ebene zeigen sich die wahrgenommene Einfachheit der Bedienung und wahrgenommene Nützlichkeit der Lernform als bedeutende Einflüsse (Šumak, et al., 2011).

Es gibt darüber hinaus zahlreiche weitere potentielle individuelle Einflussfaktoren, die als bedeutend angenommen werden können, so z.B. kognitive Flexibilität, Zeitmanagement, Extraversion und Introversion, Konzentrationsfähigkeit und Belohnungssensitivität, die an dieser Stelle leider den Rahmen dieses Artikels überschreiten würden.

Fazit

Der Einsatz digitaler Medien und technologisierter Lernmethoden führt nicht per se zu größerem Lernerfolg als herkömmliche Lernformen. Auch scheint eher davon abzuraten zu sein, Lernende vollkommen selbstständig mit digitalisierten Lernmethoden arbeiten zu lassen. Lernformen, die durch Interaktionen mit anderen Menschen (Mitlernenden sowie Lehrenden) gestützt waren, erzielten die größte Effektivität bzgl. des Lernerfolgs.

Zusammenfassend kann bzgl. der Effektivität digitaler Lernformen geschlossen werden, dass sie einen vielversprechenden Wirkfaktor für effektiveres Lernen darstellen, wenn sie gezielt und pädagogisch bzw. lernpsychologisch sinnvoll eingesetzt werden.

Wir stehen jedoch nach wie vor am Beginn eines langen Weges und sollten eine fortwährende Reflexion der Mediennutzung zu Lernzwecken fest im Blick behalten, um negativen Effekte wie Konzentrationsschwierigkeiten und Cybermobbing rechtzeitig vorzubeugen und das lernfördernde Potential des digitalisierten Lernens optimal nutzen zu können.

Aktualität und Alltagsrelevanz

Ergebnisse der 2018 durchgeführten ICILS-Studie zeigen, dass deutsche Achtklässler*innen im Gesamtvergleich aller Testergebnisse im internationalen Vergleich der digitalen Kompetenzen im Mittelfeld der Teilnahmeländer lagen. Jedoch zeigten sich in bestimmten Bereichen verheerende Rückstände: So gaben z.B. nur 4% der Schüler*innen an, dass in ihren Unterricht täglich digitale Medien einbezogen werden. Die technische Ausstattung in den Klassenräumen wurde außerdem als mangelhaft beurteilt (so zeigte sich z.B. ein Laptop-Schüler*innen-Verhältnis von 1:68).

Zwei Jahre nach der Veröffentlichung der Studie wurden die digitalen Möglichkeiten der Schulen und Hochschulen aufgrund der Corona-Pandemie auf eine unerwartete und intensive Probe gestellt, in der viele schon lange bestehende Schwachstellen  besonders hervortraten.

Die ZEIT nannte es eine „(…) Sturzgeburt des digitalen Unterrichts“ (Otto Spiewak 2020: 27), die zum einen mit einer massiven Verunsicherung und Überforderung aller Beteiligten einherging, jedoch andererseits auch eindrücklich zeigte, wie gut digitalisiertes Lernen funktionieren kann, wenn die entsprechenden Akteure (Lehrende sowie Institutionen) mit einer solchen Lehrform vertraut sind.

Seither wurden zahlreiche Studien initiiert, die die Entwicklung und Effektivität digitaler Lernformen anhand dieser Ausnahmesituation untersuchen sollen (z.B. Huber et al., 2020; Wacker et al, 2020; Klös, 2020).

Bisher sind erst wenige Ergebnisse veröffentlicht und Langzeiteffekte müssen noch abgewartet werden, jedoch ist wohl eines klar: Der Stellenwert digitalisierten Lernens ist höher denn je, während das Wissen zum Umgang mit mediengestütztem Lernen und Lehren weiterhin lückenhaft ist.

Viele Menschen sahen sich während der Pandemie gezwungen, sich Medienkompetenzen und Methoden zum digitalen Lernen bzw. Lehren selbst anzueignen und fühlten sich teils überfordert (Brandhofer, 2020). Lehrende taten dies oft ohne konkrete Anhaltspunkte dazu, welche Tools sich für welche Art der Wissensvermittlung am besten eignen und welche Besonderheiten in der digitalen Interaktion mit den Schüler*innen bzw. Student*innen zu beachten sein könnten.

Hierin spiegeln sich wichtige Ansatzpunkte wider, die nun nach dem Abflauen des ersten corona-bedingten Chaos unbedingt fokussiert werden sollten.

Die psychologische Forschung kann dazu auf besondere Weise beitragen, indem sie eine Orientierung, sowie Handreichungen für Lehrende und Lernende bieten und zur Entwicklung einer effektiven und gezielten Nutzung von digitalen Lehr- und Lernmethoden beitragen kann.

Denn trotz aller Unsicherheiten und unvorhersehbarer Ereignisse, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat, kann von einer Entwicklung mit großer Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden: Digitalisiertes Lehren und Lernen kann beim richtigen Einsatz enorm hilfreich sein, um Lernprozesse anzustoßen und wird in unserem Alltag eine immer größere Rolle einnehmen.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem bereits viele Erfahrungswerte und wissenschaftliche Erkenntnisse bzgl. digitalisierten Lernens gesammelt werden konnten. Die Aktualität der Diskussion um digitalisierte Lernformen zeigt sich im Zuge der Folgen der Corona-Pandemie so hoch wie kaum zuvor. Dennoch sind viele Fragen noch nicht abschließend geklärt und insbesondere in der Umsetzung des theoretischen Wissens tun sich zahlreiche Hürden auf.

Unabhängig davon, ob man selbst Lernende*r oder Lehrende*r ist, ist es lohnenswert, sich mit dem Thema des digitalisierten Lernens kritisch auseinanderzusetzen und dessen Nutzen zu reflektieren, um Vorteile und Risiken individuell zu evaluieren.

Einen Rahmen für eine solche Auseinandersetzung bieten z.B. lernpsychologisch ausgerichtete Workshops wie die von uns angebotenen Kurse zum Thema „Lernen lernen“ und „Prokrastination“.

Quellen:

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