Als vor ca. einem Jahr das Corona-Virus sich anschickte, die Welt zu erobern, waren sich die Fachleute sehr unsicher darüber, inwieweit es sich hier um eine wirkliche Bedrohung handelt oder ob das Virus nur eine Art Erkältung oder schlimmstenfalls eine grippeähnliche   Erkrankung hervorrufen würde.

Zunächst wurde beobachtet, dass einige Infizierte nur leicht erkrankten, andere aber einen schweren Verlauf durchmachten. Im Laufe der Zeit sprachen Mediziner immer häufiger von einer systemischen Erkrankung, bei der nicht nur die oberen Atemwege und die Lunge, sondern auch weitere Organe betroffen sein können.

Heute wissen wir, dass das Virus nicht nur unseren menschlichen Organismus schädigt, sondern nahezu die ganze Welt erschüttert. Es zeigen sich große Schäden in der Weltwirtschaft, dem Finanzwesen, der Gesellschaft und in der Kultur.

Womit wohl aber die Wenigsten gerechnet haben ist, dass das Virus nicht einmal vor dem Halt macht, was für uns das Wichtigste und Wertvollste im Leben ist, nämlich unsere zwischenmenschlichen und familiären Strukturen und vor allem unsere partnerschaftlichen Beziehungen.

Aber bevor die ganze Sache nun zu ernst wird, zunächst einen der vielen Corona-Witze:

Ein Arzt sagt zu seiner Patientin: „Sie haben sich eventuell mit dem Corona-Virus infiziert und müssen nun 14 Tage in Quarantäne. Sie haben zwei Möglichkeiten: A – Sie bleiben bei Ihrem Partner oder B – …  Die Patientin ruft „B“! …

Ist das nicht merkwürdig? Eigentlich könnte man doch annehmen, dass es nichts Schöneres gibt, als sich mit dem oder mit der Liebsten 14 Tage zurückziehen zu können, endlich mal Zeit füreinander zu haben, sich in Ruhe zu unterhalten und gemeinsam die Zeit zu genießen.

Doch das ist eine romantische Vorstellung und hat in vielen Fällen nichts mit der Realität zu tun. Statt gemeinsam eine schöne Zeit zu erleben und das zu genießen, was Mann und Frau der Regel sehr vermissen, nämlich die Muße zu zweit, wird gestritten, gemotzt, kritisiert, beleidigt und gekämpft. Wie soll das einer verstehen?

Dies ist aber nicht nur im Falle einer 14-tägigen Quarantäne ein Problem, sondern schon in der ganzen Zeit, in der das Corona-Virus unser Land beherrscht. Wir können unser Leben im öffentlichen Raum nicht so gestalten, wie wir es gewohnt sind, nicht unseren Hobbies, wie Sport, Singen im Chor etc. nachgehen oder uns schlicht mit Freunden in der Kneipe treffen. Vielmehr sind wir gezwungen, uns zu Hause aufzuhalten und sogar die Arbeit findet zum großen Teil im Homeoffice, also in den eigenen vier Wänden statt.

Erst fanden wir es vielleicht sogar ganz angenehm, nicht mit dem Bus, der Bahn oder mit dem Auto im morgendlichen Gewühl unterwegs sein zu müssen, sondern uns direkt in der Jogginghose und unrasiert bzw. ungeschminkt an den Schreibtisch setzen zu können. Sehr schnell haben wir aber gemerkt, dass wir dort nicht allein sind. Dummerweise war die Partnerin oder der Partner ebenfalls im Homeoffice.

In ganz schwierigen Zeiten waren auch noch die Kinder zu Hause, da die Schulen geschlossen waren. Nun musste die Arbeit erledigt, der Anruf vom Chef beantwortet, und Kinder, die quasi mit am Schreibtisch saßen, beschäftigt oder sogar unterrichtet werden. Wer bekommt da nicht das Gefühl, der gebeutelste Mensch auf diesem Planeten zu sein und dass der Partner oder die Partnerin zu wenig hilft und übernimmt. Also ist, wenn einem der Selbsterhaltungstrieb nicht völlig abhandengekommen ist, der Ehe- bzw. der Beziehungsknatsch vorprogrammiert.

Aus der Paarpsychologie ist bekannt, dass Beziehungen nicht nur auf einem Bedürfnis nach Nähe beruhen, sondern auch eine gewisse Distanz benötigen. Nicht selten hat es den Anschein, dass manche Partnerschaften nur dadurch aufrecht erhalten bleiben, dass die „Beteiligten“ sich nur gelegentlich sehen und genügend räumliche Distanz zwischen Ihnen besteht.

Wird mehr Zeit miteinander verbracht, entdecken beide Partner doch schnell auch unangenehme Seiten am Gegenüber, mehr als ihnen lieb ist – all die kleinen Macken, Ecken und Kanten, über die man bei genügendem Abstand so gut und einfach hinwegsehen kann. Wie hat der amerikanische Country-Sänger Billy Ray Cyrus einmal gesungen: „I’m so miserable without you, it’s almost like you are here.“ „Ohne dich geht’s mir so mies, fast schon so, als wärst du hier.“

Vielleicht sagen Sie nun, das kommt mir alles sehr bekannt vor, auch wenn ich mir diese Phänomene nicht wirklich erklären kann.

Lassen Sie uns einen kleinen Blick in die Psychologie der Paarbeziehung werfen.  

Psychologen und Paartherapeuten sind sich mittlerweile weitgehend darüber einig, dass folgende „Beziehungs-Kulturen“ eine stabile und befriedigende Partnerschaft begründen:

  1. Individuelle Nähe- und Distanz-Regulation
  2. Achtsamer Umgang, Wertschätzung und Akzeptanz
  3. Zuneigung, Bewunderung und Unterstützung
  4. Die Pflege der Freundschaft
  5. Eine gute lösungsorientierte und wertschätzende Kommunikation
  6. Befriedigende Problem- und Konfliktlösungen
  7. Eine ausgewogene Aufgaben- und Lastenverteilung
  8. Befriedigende Zärtlichkeit, Intimität und Sexualität

Wenn wir diese Kulturen in Corona-Zeiten näher betrachten, wird deutlich, warum sich eine unsichtbare RNA so toxisch auf unsere Beziehungen auswirken kann.

Über eine ausgewogene individuelle Nähe- und Distanz-Regulation können im Allgemeinen viele partnerschaftliche Probleme gelöst werden oder sie entstehen gar nicht erst. Dieser Schutz- bzw. Reparaturmechanismus für unsere Partnerschaft ist nun quasi von Staats wegen Corona bedingt außer Kraft gesetzt worden und wenn wir nicht zufällig in der sogenannten gewaltfreien Kommunikation geschult sind, kracht es eben. Wir schreien unseren Partner bzw. unsere Partnerin an und wenn es ganz schlimm kommt sogar unsere Kinder. Wir sind den ganzen Tag von Stresshormonen wie Adrenalin u. ä. überschwemmt und kommen kaum noch runter.

Eventuell fällt uns nun ein, dass wir mal gelernt haben, dass Entspannungsübungen oder Achtsamkeit hier hilfreich sein könnten. Außerdem können wir davon ausgehen, dass das, was uns gut tut, auch für unsere Partnerschaft nützlich sein sollte.

Nach dem bekannten Psychologen und Achtsamkeitstrainer Jon Kabat-Zinn bedeutet Achtsamkeit die Gegenwart so zu nehmen, wie sie ist. Die Achtsamkeit kann also als klar und nicht wertendes Gewahrsein dessen bezeichnet werden, was in jedem Augenblick geschieht. Daraus entsteht ein achtsamer Umgang miteinander, getragen von Wertschätzung und Akzeptanz für unser Gegenüber. Achtsamkeit ist mehr als nur ein Modewort. Sie hilft unter anderem Stress zu reduzieren und unseren Alltag zu entschleunigen und damit unsere Beziehung zu verbessern.

Das ist so einfach gesagt, doch wenn wir unter „Strom“ stehen, erscheint uns dies nahezu unmöglich. Was ist denn unsere Partnerin oder unser Partner nun eigentlich: Ein Geist, den wir riefen und nun wegen Corona nicht mehr los werden? Oder ein Mensch, den oder die wir uns aus gutem Grund als Partner oder Partnerin ausgewählt haben? Hatte er oder sie nicht äußerst positive und liebenswürdige Eigenschaften, sodass wir uns postwendend in ihn oder sie verliebt haben? Wo sind all diese Eigenschaften geblieben?

Nicht zuletzt aus der Achtsamkeitstheorie und aus dem philosophischen Konstruktivismus wissen wir heute, dass es an unserer Einstellung und Sichtweise liegt, wie wir die Welt und somit auch unser Gegenüber wahrnehmen. Da wir es auf Grund unserer Sozialisation in der Leistungsgesellschaft gewohnt sind, eher auf die negativen Dinge zu schauen, um die Welt und unser Leben davon zu befreien und somit zu optimieren, sehen wir auch bei unserem Partner oder bei unserer Partnerin zunächst einmal vor allem, was er oder sie falsch macht, was er oder sie verbessern könnte und vieles mehr. Also beginnen wir zu nörgeln, zu kritisieren, uns gegenseitig in alles einzumischen und letztlich den größten Streit vom Zaun zu brechen. Dabei bleibt dann natürlich die Wertschätzung und Akzeptanz auf der Strecke. Der bekannte Paarforscher John M. Gottman verrät uns allerdings, dass in einer funktionierenden Partnerschaft das Verhältnis von Anerkennung und Kritik 5 : 1 betragen sollte.

So wird schnell klar, wir befinden uns mit unserer Corona-infizierten Partnerschaft auf dem sinkenden Schiff. Was konnten jetzt unsere dringend benötigten Rettungsboote sein?

  1. Kurz innehalten und sich vergegenwärtigen, dass nicht unser Partner oder unsere Partnerin die schwierige und herausfordernde Situation hervorgerufen hat, sondern die Corona-Pandemie.
  2. Sich klar machen, dass nicht nur wir selbst, sondern ebenfalls unsere Familienangehörigen unter der Situation leiden.
  3. Sich die ursprünglich so geschätzten Eigenschaften und Merkmale unseres Partners bzw. unserer Partnerin in Erinnerung rufen. Vielleicht können wir dann auch so nach und nach unsere Zuneigung und Bewunderung für unseren Partner bzw. Partnerin wiederentdecken.
  4. Überlegen, was er oder sie gerade für Probleme hat, was er oder sie benötigt und was wir dazu beitragen können. Glauben sie mir, diese Art der Zuwendung und Unterstützung wird sich „auszahlen“, auch wenn es sich im Augenblick für uns wie eine Zusatzbelastung anfühlt.
  5. Die Besinnung auf Ihre Freundschaft mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin ermöglicht all das, was allgemein als zentral für eine gute Beziehung angesehen wird: Eine gute lösungsorientierte und wertschätzende Kommunikation, dadurch die Möglichkeit einer guten Problemlösung und in der Folge eine ausgewogene Arbeits- und Lastenverteilung.
  6. Wenn es uns gelingt, diese Hinweise aufzugreifen und auch nur zum Teil zu befolgen, wird vielleicht auch am Ende des Tages Zärtlichkeit, Intimität und Sexualität wieder möglich. Denken Sie bitte immer daran: Durch körperliche Nähe und Sexualität werden Bindungshormone ausgeschüttet, Stress reduziert und unsere psychische Widerstandskraft (Resilienz) gesteigert. Wäre das nicht eine gute Vorbereitung auf den nächsten Tag und eine gute und schöne Mobilmachung gegen das Corona-Virus und all das, was es an Komplikationen im Alltag mit sich bringt?

Eines sollte uns aber auch immer klar bleiben: Die Corona-Pandemie hat im Allgemeinen gar nicht so viele neue Probleme erzeugt, sie hat nur vielfach bereits bestehende Missstände und Probleme deutlicher hervorgebracht. Das gilt sowohl für die vielfältigen gesellschaftlichen Probleme als auch für unsere partnerschaftlichen Schwierigkeiten.

Vielleicht könnte die Corona-Krise somit auch eine Chance für unser partnerschaftliches Miteinander sein, indem wir die Beziehungsprobleme erkennen, sie ernst nehmen und uns um deren Lösung bemühen. Hierzu braucht es in einigen Fällen nur einen kleinen Anstoß, wie z. B. einen Artikel wie diesen, in anderen Fällen bedarf es eventuell der Unterstützung von außen.

Hier könnte ein Partnerschaftstraining oder ein Paar-Coaching Sie darin unterstützen, Ihre Beziehung zu dem zu machen, was Sie sich wünschen und was sie sein könnte: eine zwischenmenschliche Verbindung voller Vertrauen und Zuneigung, in der Sie Akzeptanz und Wertschätzung erleben können, aus der Sie Kraft und Energie schöpfen können, in der Sie Neugier, Kreativität und Spontanität entfalten können und die Sie durchs Leben trägt, ganz gleich ob es gerade gut läuft oder ob Sie von einem Problem wie der Corona-Krise durchgeschüttelt werden.

Wenn Sie und Ihr Partner/Ihre Partnerin sich hier Unterstützung wünschen, nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Barbara Merrem, Hans Onno Röttgers