„Bin im Stress!“, „Hatte einen stressigen Tag!“ und „Stress´ mich nicht!“ sind Aussagen, die den meisten von uns alles andere als fremd sind und die wir entweder häufiger selbst machen oder von Menschen in unserem Umfeld zu hören bekommen. Tagtäglich empfinden wir Stress in verschiedenen Kontexten: Stress am Arbeitsplatz, Freizeitstress, Beziehungsstress, sozialer Stress und Schulstress spiegeln hier nur einen Bruchteil der Bereiche wider, auf welche sich Stress auswirken kann. Stress ist also in nahezu allen Lebensbereichen allgegenwärtig. Einigen von uns ist das Empfinden von Stress so vertraut geworden, dass wir ohne ihn das Gefühl haben, es fehle etwas in unserem Leben. Doch was bedeutet dieses oft inflationär genutzte Wort eigentlich aus einer psychologischen Perspektive?

Was ist Stress?

Verschiedenste Disziplinen, wie die Soziologie, Psychologie, Medizin und Biologie fokussieren aktuell mehr denn je das Thema Stress. In diesem Zuge hat sich die sogenannte Stressforschung etabliert, die wichtige Erkenntnisse darüber liefert, wann und wie intensiv wir Stress empfinden, wie dieser sich psychisch und körperlich auswirkt und was wir für einen gesunden und konstruktiven Umgang mit Stress beachten sollten. Erkenntnisse aus der Stressforschung bieten daher eine wichtige Orientierung für die Prävention von und den konstruktiven Umgang mit Stress.

Stress wird vom American Institute of Stress (2015) ganz allgemein definiert als „Ein wahrgenommener Zustand oder ein wahrgenommenes Gefühl, das eine Person empfindet, wenn die an sie gestellten Anforderungen die eigenen verfügbaren Ressourcen übersteigen.” (frei übersetzt). Hieran lässt sich erkennen, dass sich Stressempfinden individuell unterschiedlich manifestiert und daher immer mit einem Blick auf die aktuelle Lebenssituation des betroffenen Menschen betrachtet werden sollte. Gleichzeitig impliziert diese Sicht auf Stress als Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und Ressourcen, dass Stellschrauben zum Ausgleich dieser Imbalance existieren. So kann z.B. sowohl an den Anforderungen selbst, als auch am individuellen Umgang mit Stressfaktoren angesetzt werden, um eine individuelle Stresskompetenz zu entwickeln.

Eine Stressreaktion wird häufig durch sogenannte Stressoren ausgelöst. Diese stellen Einflussfaktoren dar, welche eine Stressreaktion (von außen) begünstigen und können z.B. körperlicher, physikalischer, sozialer oder leistungsbezogener Natur sein. Nicht selten wirken auch mehrere Stressoren gleichzeitig auf uns ein, die schließlich additiv „das Faß zum Überlaufen bringen“ und die Stressreaktion verursachen. Häufige Stressoren sind z.B. Zeitdruck, Befürchtungen, soziale Konflikte, Lärm oder Schlafmangel. Diese können, wie oben in der Definition beschrieben, zur Empfindung von Stress führen, wenn nicht genügend Ressourcen vorhanden sind, um den negativen Effekt der Stressoren auszugleichen. Mögliche Ressourcen könnten u.a. Optimismus, soziale Unterstützung, Selbstvertrauen und ein gutes Zeitmanagement sein.

Arten von Stress: akut vs. chronisch

Die menschliche Stressreaktion zeigt sich auf körperlicher, emotional-kognitiver und verhaltensbezogener Ebene. Zum Beispiel steigt bei Stress unsere Herzfrequenz an und wir neigen zu vermehrtem Schwitzen, es können Denkblockaden oder Selbstzweifel entstehen und wir verhalten uns hektisch und ungeduldig. Viele Menschen versuchen den Stress auch durch gesundheitsgefährdendes Verhalten wie Rauchen oder Alkoholkonsum zu mindern.

Es ist jedoch wichtig, grundlegend zu unterscheiden, ob diese Stressreaktion akut oder langfristig besteht. Die akute Stressreaktion folgt einer langen evolutionsbiologischen Tradition und lässt sich besonders gut veranschaulichen, wenn wir uns vorstellen, wie einer unserer Vorfahren in der Steinzeit von einem Säbelzahntiger angegriffen wird. In einer solchen Situation bleiben dem Homo Sapiens lediglich zwei Handlungsmöglichkeiten: Kampf oder Flucht. Für beide Optionen musste eine schnelle Reaktion her, die kein langes Zögern oder Nachdenken benötigte. Um dies zu ermöglichen, ist das sympathische Nervensystem, unser biologisches Alarmsystem, perfekt vorbereitet: Es setzt in Sekundenschnelle Hormone wie Adrenalin und Kortison frei, versetzt unsere Muskeln in Spannung und weitet die Lunge, um bestmöglich auf den Kampf oder die Flucht vorbereitet zu sein. Ist schließlich der Säbelzahntiger besiegt oder der Steinzeitmensch erfolgreich in seine Höhle geflohen, ebbt die Stressreaktion ab und das parasympathische Nervensystem übernimmt die Führung: Der Herzschlag und die Atmung normalisieren sich wieder und eine Erholungsphase wird eingeleitet, sodass ein Ausgleich zum Stress vorhanden ist und der Mensch neue Energie tanken kann.

Eine wie oben beschriebene Aktivierung aller verfügbaren Ressourcen durch das sympathische Nervensystem ist höchst sinnvoll, wenn es um einen Kampf um Leben und Tod mit einem Säbelzahntiger geht – oder auf die heutige Zeit übertragen: z.B. wenn auf der Autobahn ein LKW vor uns scharf bremst und wir unser Tempo drosseln müssen, um einen Auffahrunfall zu vermeiden.

Was eigentlich ein ausgeklügeltes und lebensnotwendiges System darstellt, erschwert dem modernen Menschen heute jedoch oft den konstruktiven und gesunden Umgang mit Stress. Beispielsweise würden wohl die meisten von uns eine solche Aktivierung als Reaktion auf eine bevorstehende Deadline für die Abgabe eines Berichtes als eher übertrieben und wahrscheinlich auch als nicht zielführend bewerten. Doch das über Millionen von Jahren ausgearbeitete System lässt sich nicht so leicht ausschalten und so resultieren im Alltag immer wieder akute Stressreaktionen, die dazu dienen sollen, unser Überleben zu sichern, uns aber letztlich häufig eher zusätzlich belasten. Diese Belastung kann u.a. dadurch entstehen, dass wir Situationen z.B. nicht mehr gut rational einschätzen können und Vermeidung zeigen, wenn eigentlich ein konstruktiver Lösungsprozess anzustreben wäre.

Unsere Reaktion auf akuten Stress lässt sich also aus evolutionärer Sicht sinnvoll ableiten und verfolgt den Zweck der körperlichen Ressourcenaktivierung. Während die Reaktion auf akuten Stress nach wie vor immer dann sinnvoll ist, wenn schnelle körperliche Reaktionen gefragt sind (z.B. beim Sport oder um Unfälle zu vermeiden), gibt es in unserem modernen Alltag immer mehr Situationen, die eine besonnene Einstellung, die Abwägung komplexer Handlungsmöglichkeiten und Planungsfähigkeit erfordern und keiner körperlichen Kampf- oder Fluchtreaktion bedürfen.

Wenn nach der Aktivierung des sympathischen Nervensystems nicht bald die Übernahme durch das parasympathische System erfolgt, können Stressreaktionen länger anhalten als es gesund und vorgesehen ist. Dann kommen wir in einen Teufelskreis aus einer Hyperaktivierung aller verfügbaren Ressourcen und der fehlenden Möglichkeit zur (körperlichen) Erholung sowie dem Auffüllen der Energiereserven. Hält dieser Zustand langfristig an, sprechen wir von chronischem Stress, der zahlreiche negative Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit nach sich zieht. Das natürliche Gleichgewicht des Körpers ist verschoben und die Fähigkeit zur Selbstregulation des Systems wird stark eingeschränkt.

Jede*r dritte Befragte einer repräsentativen Umfrage in Deutschland gab an, unter „Dauerstress“ zu leiden (TK-Bevölkerungsbefragung, 2009). Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil langfristige Folgen von chronischem Stress unter anderem Muskelverspannungen, eine Schwächung des Immunsystems durch eine Kortisolüberproduktion, kardiovaskuläre Erkrankungen und psychische Störungen sein können.

Abschließend lässt sich also festhalten, dass akuter Stress eine natürliche Reaktion des Körpers hervorruft, die teilweise zu einer Leistungssteigerung führen kann, besonders wenn die Situation eine körperliche Reaktion erfordert. Eine solche Stressreaktion wird dann zum Problem, wenn sie nicht zielführend ist oder sich chronifiziert. Es ist daher besonders wichtig, am Umgang mit akutem Stress anzusetzen, um eine langfristige chronische Stressreaktion zu vermeiden und die Erholung von Stressreaktionen zu ermöglichen.

Wie gestresst sind wir in Deutschland?

Eine besonders relevante Frage, der sich die Stressforschung widmet, ist die Quantifizierung von Stress und wie sich das Stresserleben verändert hat. Eine Erkenntnis aus bundesweiten Befragungen ist, dass unser durchschnittliches Stresslevel in Deutschland gestiegen zu sein scheint: 60% der Befragten gaben in einer Studie der Techniker Krankenkasse (2016) an, sich gestresst zu fühlen. 23% antworteten sogar, häufig gestresst zu sein. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten bestätigte, zum Zeitpunkt der Befragung ein höheres Stresslevel zu besitzen als noch vor drei Jahren. Dieser Trend zeichnet sich nicht nur auf individueller Ebene ab: Im Gegensatz zu einer vergleichbaren Studie von 2013 ist das Gesamtstresslevel der Deutschen um 4% gestiegen (TK-Studie, 2016).

Wer ist am meisten von Stress betroffen?

Generell konnten als Risikofaktoren für erhöhten wahrgenommenen Stress ausgemacht werden, dass Frauen eher betroffen sind und dass ein geringes Einkommen sowie ein selbstständiges Arbeitsverhältnis oder Erwerbslosigkeit das Stresserleben besonders in die Höhe treiben. In selektiven Stichproben zeigt sich eine noch größere Zahl von Personen, die unter Stress leiden: Unter Studierenden gaben über 90% der Befragten an, mittleren bis hohen Stress zu empfinden (Herbst et al., 2016). Auch bestimmte Berufsgruppen wie Lehrkräfte (Hasselhorn & Nübling, 2004) und Angestellte im Gesundheitswesen (Maslach et al., 2001) sehen sich mit einem größeren Risiko für ein erhöhtes Stressempfinden und damit einhergehenden negativen Folgen, z.B. der Entwicklung eines Burnout-Syndroms, konfrontiert. Stress ist demnach auch ein Thema, welches eng mit sozialer Gerechtigkeit zusammenhängt. Stressmanagement und Burnout-Prävention sollten daher nicht nur die persönliche Weiterbildung betreffen, sondern durch gesamtgesellschaftliches Engagement, Politik und Anpassungen in Betrieben vorangetrieben werden.

Stress ist allgegenwärtig und doch wissen die meisten von uns nicht allzu viel über seine Entstehung, Wirkmechanismen und Präventionsmöglichkeiten. Zusammenfassend kann aus den Erkenntnissen der Stressforschung geschlossen werden, dass das Wissen über Stress und die verschiedenen menschlichen Stressreaktionen sehr hilfreich sein kann, um sowohl sich selbst, als auch andere Menschen besser zu verstehen und schließlich sinnvolle Präventions- und Interventionsstrategien abzuleiten. 

Sollten Sie sich weiterführend für das Thema interessieren, legen wir Ihnen unsere Artikel zu Stress im Kontext unserer modernen Gesellschaft und zum Burnout-Syndrom ans Herz und heißen Sie gern jederzeit in unseren Workshops und Seminaren zum Thema Stressmanagement und Burnout-Prävention willkommen!

Quellen:

American Institute of Stress: „What is stress?” (2015). https://www.stress.org/daily-life. (abgerufen am 30.10.2020, 9:05 Uhr)

Hasselhorn, M., & Nübling, T. (2004). Arbeitsbedingte psychische Erschöpfung bei Erwerbstätigen in Deutschland. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin, 39(11), 568-576.

Herbst, U., Voeth, M., Eidhoff, A.T., Müller, M., Stief, S. (2016). Studierendenstress in Deutschland – eine empirische Untersuchung. Berlin: AOK-Bundesverband.

Maslach C, Schaufeli WB, Leiter MP (2001) Job Burnout. Annu Rev Psychol 52:397–422. doi:10.1146/annurev.psych.52.1.397

Techniker Krankenkasse. Entspann dich, Deutschland! TK-Stressstudie. Hamburg: Techniker Krankenkasse, 2016. Print.

TK (2009) Stress – Aktuelle Bevölkerungsbefra­gung: Ausmaß, Ursachen und Auswirkungen von Stress in Deutschland. In: F.A.Z.-Institut für Ma­nagement-, Markt und Medieninformationen GmbH & Techniker Krankenkasse, Techniker Kran­kenkasse, Pressestelle, Hamburg. http://www.tk-online.de